E wie Eingemachtes

Manche Buchstaben geben mehr her:)!

Heute Vormittag war ein Frau Ende Dreißig bei mir zum Vorgespräch zu einem „Karrierecoaching“, wie sie es bezeichnete.

Seit mehreren Monaten bemühe sie sich vergeblich darum, eine neue Arbeitsstelle zu finden. So ganz klar sei ihr aber auch nicht, was sie wolle, evtl. doch wieder zurück in den alten Betrieb? Ich fragte sie, was sie bisher unternommen und wie viele Einladungen sie zu einem Vorstellungstermin bekommen habe. Es stellte sich heraus, dass sie sich überwiegend auf ausgeschriebene Stellen beworben und keine Bewerbungen aktiv initiiert hatte.

Während ich ihr das Vorgehen einer aktiven Stellensuche erläuterte, sah ich, wie sie auf dem Stuhl zusammensackte.

Das sei nicht so ihr Ding… Als ich meine nächste Frage auf die dahinter liegenden Überzeugungen richtete, wurde ersichtlich, dass unser Gespräch sich in Richtung „Eingemachtes“ entwickelte.

Coaching ist halt kein Gespräch unter Freund*inn*en, die bestimmte Fragen nicht aufwerfen, weil sie meinen, die Antworten schon zu kennen.

 

Der Vorteil eines „Gesprächs unter Unbekannten“, also eines Coaches und einem Coachee, ist eben, dass ich den Kontext erst einmal erfragen, erforschen darf:

  • Dabei achte ich genau darauf, was mein Gegenüber sagt und wie er oder sie es sagt.
  • Was wird ausgelassen, welchem Sachverhalt wird besondere Bedeutung zugemessen?
  • Nach und nach entsteht ein Bild der momentanen Selbstwahrnehmung und der (beruflichen) Entwicklung.

So auch mit meiner heutigen Gesprächspartnerin. Die wichtigste Information lieferte sie mir sogar erst bei der Verabschiedung als ich nach ihrem Wohnort fragte. Sie sei aufgrund mehrmonatiger Sperren des Arbeitslosengeldes wieder bei ihren Eltern eingezogen und deshalb nun auch flexibel, sich eine neue Arbeit in einer anderen interessanten Stadt zu suchen. Alles klar, dachte ich: hier geht es um mehr als nur eine Jobsuche, hier geht es um Neuausrichtung, sicher auch im Privaten. Ich verstand, warum sie während unseres Vorgesprächs immer tiefer in sich einsank und schweigsamer wurde.

Es geht ans Eingemachte, um Lebensfragen, die tiefer sind als die einer neuen Berufung:

  • Wieso habe ich keine erfüllende Partnerschaft, zum Beispiel.
  • Oder: Wieso scheiterte die letzte?
  • Warum fällt es mir schwer, glücklich zu sein?
  • Irgendetwas fehlt, aber ich weiß nicht so recht, was…

Wenn ein Coachinggespräch diese Ebene erreicht, bin ich immer sehr zufrieden.

Nicht nur, weil ausreichend Schutz und damit Vertrauen vorhanden ist, dass sich mein*e Gesprächspartner*in sich ihren tieferen Fragen zuwendet. Sondern auch, weil wir von der reinen Handlungsebene einer „Jobsuche“ auf die Ebene des Nicht-Wissens begeben.

Weder sie noch ich kennen zu Beginn des Gesprächs die Antworten auf die aufgeworfenen Fragen, aber nach und nach kann sich das unbewusste, verborgene Wissen aufdecken. Dies geschieht allein dadurch, dass man sich einem Thema tatsächlich hinwendet, ihm Zeit gibt, sich zu entfalten. Mitgefühl, wohlwollendes Feedback, Bestärkung und etwas Handwerkzeug sind weitere Zutaten für „Aha-Erlebnisse“ und „Stimmt, so fühlt es sich richtig an“.

Das Eingemachte ist eben einfach nur „eingemacht“ worden wie Obst in einem Weckglas.

Den Deckel zu öffnen und sich dem Inneren zuzuwenden, kann köstlich sein.

 

Die Autorin